Das Landgericht Gera hatte mit Urteil vom 4. Februar 2005 gegen den Beschwerdeführer nachträglich die Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendete sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision. Der Beschwerdeführer hatte bis zum 28. September 2004 (u. a.) eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten wegen schweren Raubes ("Anlasstat") verbüßt. Bereits in dem seinerzeitigen Urteil des Landgerichts Gera vom 19. Januar 1998 wurden ihm eine soziopathische Persönlichkeitsfehlentwicklung mit antisozialem Verhaltensmuster und ein erheblicher Drogenmissbrauch bescheinigt. Hieran hat sich während der Strafverbüßung nichts geändert. Der Beschwerdeführer hat Therapiemaßnahmen nicht in Anspruch genommen, hat sich einer Alkoholkontrolle gewaltsam widersetzt und hat einen Vollzugsbediensteten bedroht. Ferner besaß er in der Haft verbotene, als Waffen einsetzbare Gegenstände. In der Hauptverhandlung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung räumte er zudem weitere Straftaten (Einbruchdiebstähle) aus der Zeit vor der Verurteilung wegen der Anlasstat ein.
§ 66 b Abs. 1 und 2 StGB setzt ausdrücklich voraus, dass nach einer Verurteilung wegen einer der dort angeführten Straftaten zu einer Freiheitsstrafe vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Dies bedeutet, dass sich neue Tatsachen ergeben haben müssen, die in dem früheren Verfahren nicht bekannt oder wenigstens erkennbar gewesen sein dürfen. Angesichts der Tragweite des mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft des Ausgangsurteils und des hohen verfassungsrechtlichen Ranges des Freiheitsgrundrechtes des Betroffenen muss es sich um erhebliche Tatsachen handeln. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht kommen. Die neuen Tatsachen müssen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips schon für sich und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände Gewicht haben im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer. So kann zum Beispiel nicht schon jeder während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam ungeachtet seiner Neuheit im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB die Einleitung eines Verfahrens über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, welches schon als solches eine erhebliche Belastung des Betroffenen dar-stellt, rechtfertigen. Das Verfahren nach § 66 b StGB dient auch nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht be-anstandet wurden. Nur wenn wirklich erhebliche neue Tatsachen während des Vollzugs erkennbar werden, kann dies zur Anordnung der nachträglichen Sicherungs-verwahrung führen.
Die vom Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen sind zum Teil nicht neu im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB. Die Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers sowie seine Alkohol- und Drogensucht waren bereits dem früheren Tatrichter bekannt. Die früheren Straftaten, die er während der Verhandlung vor dem Landgericht eingestanden hat, sind nicht, wie es das Gesetz ausdrücklich erfordert, während des Vollzugs der Strafhaft wegen der Anlasstat bekannt geworden, sondern erst danach. Sie können gegebenenfalls in einem neuen Strafverfah-ren gegen den Beschwerdeführer geahndet werden. Die Vorfälle während des Vollzugs der Strafhaft sind hingegen zwar „neu“, belegen aber nicht in dem vom Gesetz erforderten Maß eine erhebliche Gefährlichkeit des Beschwerdeführers.
Der Senat hat ausgeschlossen, dass in einer neuen Hauptverhandlung zusätzliche „neue Tatsachen“ festgestellt werden könnten und hat deshalb auf den Wegfall der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erkannt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.11.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 166/05 des BGH vom 25.11.2005