23.11.2024
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Urteil25.11.2005Bundesgerichtshof2 StR 272/05
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Bundesgerichtshof Urteil25.11.2005

Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung aufgehoben

Der Bundes­ge­richtshof hat die Anordnung einer nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung aufgehoben. Dass die Staats­an­walt­schaft ihren Antrag auf Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung nicht begründet hatte, was der Senat aus Gründen der Rechts­s­taat­lichkeit als Zuläs­sig­keits­vor­aus­setzung für erforderlich hält, hat der Senat hier ausnahmsweise hingenommen, weil das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung erst am 29. Juli 2004 in Kraft getreten ist. Die Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung hatte jedoch keinen Bestand, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegend nicht erfüllt sind.

Das Landgericht Gera hatte mit Urteil vom 4. Februar 2005 gegen den Beschwer­de­führer nachträglich die Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet. Hiergegen wendete sich der Beschwer­de­führer mit seiner Revision. Der Beschwer­de­führer hatte bis zum 28. September 2004 (u. a.) eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten wegen schweren Raubes ("Anlasstat") verbüßt. Bereits in dem seinerzeitigen Urteil des Landgerichts Gera vom 19. Januar 1998 wurden ihm eine soziopathische Persön­lich­keits­fehl­ent­wicklung mit antisozialem Verhal­tens­muster und ein erheblicher Drogen­miss­brauch bescheinigt. Hieran hat sich während der Strafverbüßung nichts geändert. Der Beschwer­de­führer hat Thera­pie­maß­nahmen nicht in Anspruch genommen, hat sich einer Alkohol­kon­trolle gewaltsam widersetzt und hat einen Vollzugs­be­diensteten bedroht. Ferner besaß er in der Haft verbotene, als Waffen einsetzbare Gegenstände. In der Haupt­ver­handlung über die nachträgliche Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung räumte er zudem weitere Straftaten (Einbruch­die­b­stähle) aus der Zeit vor der Verurteilung wegen der Anlasstat ein.

§ 66 b Abs. 1 und 2 StGB setzt ausdrücklich voraus, dass nach einer Verurteilung wegen einer der dort angeführten Straftaten zu einer Freiheitsstrafe vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Dies bedeutet, dass sich neue Tatsachen ergeben haben müssen, die in dem früheren Verfahren nicht bekannt oder wenigstens erkennbar gewesen sein dürfen. Angesichts der Tragweite des mit der Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft des Ausgangsurteils und des hohen verfas­sungs­recht­lichen Ranges des Freiheits­grund­rechtes des Betroffenen muss es sich um erhebliche Tatsachen handeln. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht kommen. Die neuen Tatsachen müssen im Lichte des Verhält­nis­mä­ßig­keits­prinzips schon für sich und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände Gewicht haben im Hinblick auf mögliche Beein­träch­ti­gungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbst­be­stimmung anderer. So kann zum Beispiel nicht schon jeder während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam ungeachtet seiner Neuheit im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB die Einleitung eines Verfahrens über die Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung, welches schon als solches eine erhebliche Belastung des Betroffenen dar-stellt, rechtfertigen. Das Verfahren nach § 66 b StGB dient auch nicht der Korrektur rechts­feh­ler­hafter früherer Entscheidungen, die von der Staats­an­walt­schaft nicht be-anstandet wurden. Nur wenn wirklich erhebliche neue Tatsachen während des Vollzugs erkennbar werden, kann dies zur Anordnung der nachträglichen Sicherungs-verwahrung führen.

Die vom Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen sind zum Teil nicht neu im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB. Die Persön­lich­keits­s­törung des Beschwer­de­führers sowie seine Alkohol- und Drogensucht waren bereits dem früheren Tatrichter bekannt. Die früheren Straftaten, die er während der Verhandlung vor dem Landgericht eingestanden hat, sind nicht, wie es das Gesetz ausdrücklich erfordert, während des Vollzugs der Strafhaft wegen der Anlasstat bekannt geworden, sondern erst danach. Sie können gegebenenfalls in einem neuen Strafverfah-ren gegen den Beschwer­de­führer geahndet werden. Die Vorfälle während des Vollzugs der Strafhaft sind hingegen zwar „neu“, belegen aber nicht in dem vom Gesetz erforderten Maß eine erhebliche Gefährlichkeit des Beschwer­de­führers.

Der Senat hat ausgeschlossen, dass in einer neuen Haupt­ver­handlung zusätzliche „neue Tatsachen“ festgestellt werden könnten und hat deshalb auf den Wegfall der Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung erkannt.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 166/05 des BGH vom 25.11.2005

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