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Urteil09.01.2025Bundesgerichtshof1 StR 54/24
Vorinstanz:
  • Landgericht Tübingen, Urteil20.10.2023, 2 KLs 42 Js 27225/22
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil09.01.2025

BGH lässt von US-Bundespolizei aufgezeichnete Chat-Nachrichten als Beweismittel im Strafverfahren zuAnomChat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar

In einem deutschen Strafprozess können im Fall schwerer Straftaten heimlich von der US-Bundespolizei FBI aufgezeichnete Nachrichten uneingeschränkt als Beweismittel verwendet werden. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden. Im deutschen Recht gibt es keine ausdrückliche Regelung, aus der sich eine nur eingeschränkte Verwertbarkeit von durch Rechtshilfe erlangten Beweisen ergibt.

Der 1. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 20. Oktober 2023 in weiten Teilen verworfen; allein wegen des Inkrafttretens des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 ist zum Strafmaß, im Übrigen wegen insoweit lückenhafter Feststellungen zur Vermö­gens­ab­schöpfung neu zu verhandeln.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 35 Verbrechen des Handeltreibens mit Betäu­bungs­mitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung von Taterlösen über mehr als 500.000 Euro angeordnet. In neun Fällen waren zentrale Beweismittel Nachrichten des Angeklagten, die dieser zur Organisation des Drogenhandels über eine in der Taschen­rech­ner­funktion seines Mobiltelefons versteckten App "Anom" versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision gerügt, dass diese über das Justiz­mi­nis­terium der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) erlangten Daten nicht als Beweismittel in seinem Strafverfahren hätten verwertet werden dürfen.

BGH: Von den USA übermittelte Daten sind als Beweismittel verwertbar

Der Bundes­ge­richtshof hat diese Beanstandung als nicht durchgreifend angesehen. Er hat entschieden, dass die von den USA übermittelten Daten als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie hier der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

Sachverhalt

a) Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen ermittelten US-Behörden gegen ein Unternehmen, das Krypto­mo­bil­te­lefone ausschließlich an Mitglieder krimineller Vereinigungen zur verschlüsselten Kommunikation veräußerte. Nach Einleitung von Strafverfahren gegen Verantwortliche dieses Unternehmens ließ das Federal Bureau of Investigation (FBI) eigens entwickelte Krypto­mo­bil­te­lefone mit dem Namen "Anom" an kriminelle Organisationen veräußern. Obwohl jedes Anom-Gerät Ende-zu-Ende verschlüsselt war, verfügte das FBI ohne Wissen der Nutzer über die Codes, um jede Nachricht zu entschlüsseln. Der Server, an den bei Versand einer Nachricht eine Kopie gesendet wurde, stand nach Auskunft des US-Justiz­mi­nis­teriums seit Sommer 2019 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, dessen Identität das FBI auf dessen Bitte nicht preisgab; auch warum der Drittstaat um Geheimhaltung bat, ist unbekannt. Jedenfalls sei dort im Oktober 2019 ein Gerichts­be­schluss ergangen, der ein Kopieren des Servers und den Empfang seiner Inhalte ermöglichte.

b) Im Rechts­hil­fe­verkehr leitete der EU-Staat die Anom-Server-Daten an das FBI weiter. Das Aus- und Weiterleiten der Daten war nach dem Gerichts­be­schluss zeitlich bis zum 7. Juni 2021 begrenzt. Das Bundes­kri­mi­nalamt erhielt über eine inter­net­ba­sierte Auswer­te­plattform informatorisch Zugang zu den dekryptierten Inhaltsdaten mit Deutsch­landbezug. Am 31. März 2021 leitete die General­staats­an­walt­schaft Frankfurt am Main Verfahren gegen die Nutzer der Anomkryp­to­handys ein und stellte am 21. April 2021 ein Rechts­hil­fe­er­suchen an das US-Justiz­mi­nis­terium, das mit Schreiben vom 3. Juni 2021 der Verwertung der übersandten Daten zustimmte.

Rechtliche Erwägungen des Bundes­ge­richtshofs

a) Verfas­sungs­gemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht.

Kein Beweis­ver­wer­tungs­verbot

b) Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

aa) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, ist ausschließlich nach deutschem Recht zu beantworten. Die ausländischen Ermitt­lungs­maß­nahmen waren nicht am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen. Es ist auch nicht entscheidend, ob die deutschen Ermitt­lungs­be­hörden in gleicher Weise hätten vorgehen dürfen.

bb) Gegen menschen­rechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechts­s­taats­an­for­de­rungen im Sinne eines im Rechts­hil­fe­verkehr zu prüfenden "ordre public" wurde nicht verstoßen. Denn die Eingriffe in das Fernmel­de­ge­heimnis waren begrenzt. Die Maßnahmen richteten sich ausschließlich gegen Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Beteiligung an Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich des Betäu­bungs­mittel- und Waffenhandels, bestanden. Schon angesichts der hohen Kosten und des auf kriminelle Kreise beschränkten Vertriebswegs (‚designed by criminals for criminals") begründete bereits der Erwerb eines Anom-Handys den Verdacht, dass der Nutzer das Gerät zur Planung und Begehung schwerer Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität einsetzte. Auch der Umstand, dass der Angeklagte nicht unmittelbar die im Drittland ergangenen Beschlüsse angreifen konnte sowie die Existenz und der Inhalt derselben der deutschen Strafjustiz nur vom Hörensagen bekannt sind, führt in der Gesamtabwägung nicht zur Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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