15.11.2024
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Dokument-Nr. 3191

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Bundesgerichtshof Urteil16.10.2006

BGH hebt Freispruch im Verfahren gegen Harry Wörz auf

Der Bundes­ge­richtshof hat den Freispruch des Landgerichts Mannheim aufgehoben. Der nunmehr acht neun Jahre dauernde Verfah­rens­ma­rathon muss aufgrund von Verfah­rens­fehlern nun vor einem anderen Landgericht komplett neu verhandelt werden.

Dem Angeklagten Harry Wörz wird zur Last gelegt, versucht zu haben, seine Ehefrau - die Nebenklägerin - zu töten. Das Landgericht Karlsruhe hatte ihn deshalb am 16. Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete Revision verwarf der Bundes­ge­richtshof mit Beschluss vom 11. August 1998. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2004 ordnete das Oberlan­des­gericht Karlsruhe - unter Aufhebung der gegenteiligen Entscheidung des Landgerichts Mannheim - die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Haupt­ver­handlung an. Nach dieser Haupt­ver­handlung sprach das Landgericht Mannheim den Angeklagten mit Urteil vom 6. Oktober 2005 frei.

Nach den Feststellungen des Landgerichtes lebte der Angeklagte von der Nebenklägerin, die die Scheidung betrieb, getrennt. Die Nebenklägerin wohnte mit dem gemeinsamen zweijährigen Sohn in der Erdge­schoss­wohnung des ehemals elterlichen Reihenhauses. In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 betrat eine der Nebenklägerin bekannte männliche Person die Wohnung mit Hilfe eines Schlüssels oder nach Einlass durch die Nebenklägerin. In der Wohnung kam es alsbald zu einem lautstarken Streit, in dessen Verlauf der Mann den Entschluss fasste, die Nebenklägerin zu töten. Er zog sich Vinylein­weg­hand­schuhe über, schlang einen Wollschal um den Hals der Nebenklägerin und zog dessen Enden mindestens zwei Minuten lang kräftig zusammen, bis sein sich wehrendes Opfer das Bewusstsein verlor. Durch das Kampfgeschehen wurde der in der Souter­rain­wohnung des Hauses übernachtende Vater der Nebenklägerin geweckt. Nachdem dieser über eine Treppe zur Erdge­schoss­wohnung emporgestiegen war, gelang es dem Täter, die Verbindungstür zum Flur der Wohnung zuzuschlagen und unerkannt zu entkommen. Der Vater der Nebenklägerin befreite diese aus der Strangulation; die Nebenklägerin hatte jedoch aufgrund der Unterbrechung der Sauer­stoff­ver­sorgung bereits derart schwere Gehirn­schä­di­gungen erlitten, dass sich ihre heutige Hirntätigkeit im Wesentlichen auf vegetative Funktionen beschränkt.

Da die Nebenklägerin aufgrund der erlittenen Schädigungen und der bei der Tat zumindest zeitweise anwesende Sohn aufgrund seines damaligen Alters zur Aufklärung der Tat nichts beitragen konnten, war das Landgericht zur Feststellung der Täterschaft auf eine Würdigung von Indizien, u. a. des Spurenmaterials am Tatort angewiesen. Es hat sich hiernach von der Schuld des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht. Dagegen richten sich die Revisionen der Staats­an­walt­schaft und der Nebenklägerin. Sie greifen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts die Beweiswürdigung des Landgerichts an und beanstanden außerdem die Verletzung von Vorschriften über das Strafverfahren.

Der Bundes­ge­richtshof hat das freisprechende Urteil des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Tragender Aufhebungsgrund ist, dass die Beweiswürdigung des Landgerichtes an durchgreifenden Rechtsfehlern leidet, da sie lückenhaft ist und nahe liegende Möglichkeiten nicht erörtert. So geht das Landgericht von einer Spontantat aus, ohne sich mit Umständen ausein­an­der­zu­setzen, die zur Annahme einer geplanten Tat gedrängt hätten. Lückenhaft bleiben auch Erörterungen, mit denen das Landgericht den Inhalt einer am Tatort aufgefundenen Plastiktüte, die Herkunft der bei der Tat verwendeten Einweg­hand­schuhe und DNA-Antragungen an deren Innenseite würdigt. Die Revisionen haben aufgrund dieser Mängel bereits mit der Sachrüge Erfolg. Hinzu kommt eine von der Nebenklägerin erfolgreich erhobene Verfahrensrüge, mit der sie beanstandet, dass das Landgericht den Inhalt eines von dem Angeklagten verfassten Briefes, der aus der Haft an seine Freundin geschmuggelt werden sollte, nicht verwertet hat, obwohl er in die Haupt­ver­handlung eingeführt wurde und als Indiz hohen Beweiswert haben könnte. Der maßgebliche Satz in dem Brief lautet: „Wenn sie sagt ‚ja ich war’s’ bin ich für Jahre im Knast“. Er wurde eine Woche nach der Tat verfasst, als der Angeklagte noch davon ausgehen konnte, dass die Nebenklägerin als Zeugin Angaben zum Täter würde machen können. Die Sache muss daher insgesamt neu verhandelt werden.

Erläuterungen
Vorinstanz

LG Mannheim - Entscheidung vom 6. Oktober 2005 – 1 Ks 400 Js 37766/01

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 138/06 des BGH vom 16.10.2006

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