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Bundesarbeitsgericht Urteil04.10.2005
Annahmeverzug und Schadensersatz bei Schwerbehinderung
Der Arbeitgeber hat Annahmeverzugslohn zu zahlen, wenn er die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung nicht annimmt (§§ 615, 293 ff. BGB). Das gilt auch dann, wenn den Arbeitgeber an der Nichtbeschäftigung kein Verschulden trifft.
Kein Annahmeverzug wird begründet, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die an dem zugewiesenen Arbeitsplatz anfallenden Tätigkeiten auszuführen (§ 297 BGB). Kann der Arbeitnehmer davon nur einen Teil verrichten, gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, es sei denn, dem Arbeitnehmer kann ein anderer Arbeitsplatz zugewiesen werden, den dieser ausfüllen kann (§ 106 GewO). Der Arbeitgeber ist regelmäßig nicht gehalten, dazu seine Arbeitsorganisation zu ändern oder den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mit technischen Arbeitshilfen auszustatten.
Derartige Pflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus dem Schwerbehindertenrecht. Der Arbeitgeber ist nach § 81 Abs. 4 Ziff. 1, 4 und 5 SGB IX zur behinderungsgerechten Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes verpflichtet. Er macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er diese Pflichten schuldhaft verletzt. Er schuldet dann die entgangene Vergütung als Schadensersatz nach § 280 BGB iVm. § 81 Abs. 4 SGB IX, es sei denn, die behinderungsgerechte Einrichtung des Arbeitsplatzes wäre ihm unzumutbar oder sie wäre mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX).
Der mit einem Grad von 50 behinderte Kläger ist seit 1997 bei der beklagten Stadt als Arbeiter angestellt. Auf Grund einer im Jahr 2000 eingesetzten Kniegelenksprothese war sein rechtes Bein nicht voll belastbar. Insbesondere durfte er nicht mehr als 15 kg heben und tragen. Auf den Arbeitsplätzen, auf denen er zuletzt eingesetzt war (Wertstoffhof; Containerstellplatzreinigung) waren zum Teil erheblich schwerere Gegenstände zu heben und zu tragen. Die Stadt lehnte seine Beschäftigung Mitte August 2001 auf Dauer ab, weil der Kläger wegen der Behinderung seine Arbeitspflicht nicht erfüllen könne. Der Kläger hat seine Vergütungsansprüche für die Zeit von Mitte August 2001 bis einschließlich April 2002 geltend gemacht.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen Ansprüche aus Annahmeverzug verneint. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Ansprüche auf Schadensersatz wegen entgangener Vergütung - jedenfalls für einen Teil des Anspruchszeitraums - bestehen. Deshalb hat der Senat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 9. August 2004 - 8 (17) Sa 1416/02 -
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.10.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 64/05 des BAG vom 04.10.2005
der Leitsatz
1. Ist ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Arbeitnehmer auf Grund seiner Behinderung außerstande, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, gerät der Arbeitgeber nicht mit der Annahme der Dienste in Verzug. Die vom Arbeitgeber nach § 296 Satz 1 BGB vorzunehmende Handlung besteht nur darin, die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung hinreichend zu bestimmen und durch Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Deshalb ist der Arbeitgeber zur Vermeidung von Annahmeverzugsansprüchen weder zu einer Vertragsänderung noch zum Einsatz technischer Arbeitshilfen verpflichtet.
2. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX haben schwerbehinderte Arbeitnehmer Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung und Ausstattung ihres Arbeitsplatzes. Die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers aus § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB iVm § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX begründen. Diese sind auf Ersatz der entgangenen Vergütung gerichtet.
3. Der Arbeitnehmer hat nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich die primäre Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs. Hat der Arbeitgeber allerdings seine Erörterungspflichten nach § 84 Abs. 1 SGB IX verletzt, trifft ihn die sekundäre Darlegungslast dafür, dass ihm auch unter Berücksichtigung der besonderen Arbeitgeberpflicht nach § 81 Abs. 4 SGB IX eine zumutbare Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht möglich war.
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