15.11.2024
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Dokument-Nr. 2647

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Urteil05.07.2006Bundesarbeitsgericht4 AZR 381/05
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Bundesarbeitsgericht Urteil05.07.2006

Verurteilung einer Gewerkschaft zum Abschluss eines Tarifvertrags

Wenn Tarif­ver­trags­parteien ein Verhand­lungs­er­gebnis verbindlich festhalten und dieses Ergebnis von den zuständigen Gremien der Arbeitgeber- und der Gewerk­schaftsseite ausdrücklich gebilligt wird, kann dies ein Vorvertrag sein, aus dem sich ein einklagbarer Anspruch ergibt, einen entsprechenden Tarifvertrag zu unterzeichnen.

Ist die Einigung versehentlich nur teilweise, aber nicht vollständig in einem oder mehreren Tarifverträgen umgesetzt worden, haben beide Parteien einen Anspruch auf tarif­ver­tragliche Ergänzung der Umsetzung. Der Verpflichtung zum Abschluss eines solchen ergänzenden Tarifvertrages steht sein rückwirkendes Inkrafttreten auch dann nicht entgegen, wenn zwischen­zeitlich Tarifverträge, die mit dem angestrebten Tarifvertrag in Verbindung stehen, gekündigt worden sind. Auch ein rückwirkender Eingriff in bereits entstandene tarifliche Rechte der Arbeitnehmer ist zulässig, wenn dem ein besonderer Vertrau­ens­schutz nicht entgegensteht.

Der klagende Bundesverband der Arbei­ter­wohlfahrt hatte mit der Rechts­vor­gängerin der beklagten Gewerkschaft in einem Mantel­ta­rif­vertrag die Zahlung einer jährlichen Zuwendung an die Beschäftigten vereinbart. Deren Höhe ist in einem Zusatz­ta­rif­vertrag zu regeln. Der ursprüngliche Zusatz­ta­rif­vertrag sah vor, dass die Zuwendung 100 % (Tarifgebiet West) bzw. 75 % (Tarifgebiet Ost) eines Brutto­mo­nats­gehalts beträgt. Seit 1994 wurde durch jeweils befristete Änderung­s­ta­rif­verträge der Prozentsatz schrittweise soweit abgesenkt, dass unter Berück­sich­tigung der jährlichen Entgel­t­er­hö­hungen der Zuwen­dungs­betrag „eingefroren“ blieb. 2001 belief sich im Tarifgebiet Ost der festgelegte Prozentsatz auf 67,21 %, im Tarifgebiet West auf 85,80 %. Im Frühjahr 2003 unterzeichneten die Verhand­lungs­kom­mis­sionen im Anschluss an Tarif­ver­hand­lungen der Parteien eine schriftliche „Tarifeinigung“, der die zuständigen Gremien beider Seiten zustimmten. In der Einigung war neben einer Vergü­tungs­er­höhung ua. vorgesehen: „Die Zuwendung bleibt bis zum 31. Januar 2005 eingefroren vorbehaltlich einer Regelung im Reform-TV.“ Mit Ausnahme der Zuwendung wurden alle in der „Tarifeinigung“ genannten Punkte in verschiedenen Tarifverträgen umgesetzt. Alle Arbeitnehmer der AWO erhielten im November/Dezember 2003 die Zuwendung in der gleichen „eingefrorenen“ Höhe wie bisher. Als der Kläger im Zusammenhang mit Verhandlungen über den „Reform­ta­rif­vertrag“ nahezu alle mit der Beklagten abgeschlossenen Tarifverträge zum 31. März 2004 kündigte, teilte die Beklagte ihren Mitgliedern in einer Mitglie­de­r­in­for­mation mit, dass die Zuwendung nicht Gegenstand der Tarif­ver­hand­lungen im Frühjahr 2003 gewesen sei; es gebe deshalb keine Absenkung mehr, so dass für 2003 ein volles Brutto­mo­nats­gehalt als Zuwendung zu zahlen sei. Der Kläger widersprach dem umgehend in einem Rundschreiben an die Arbeitnehmer. Nach Einleitung des Rechtsstreites einigten sich die Parteien im Dezember 2004 auf Überg­ang­s­ta­rif­verträge, die ua. wiederum einen abgesenkten Prozentsatz für die Zuwendung 2004 enthielten und insoweit am 1. Oktober 2004 in Kraft traten.

Der Kläger hat von der Beklagten die Unterzeichnung eines von ihm ausformulierten Änderung­s­ta­rif­vertrags verlangt, mit dem die 1994 begonnene Praxis durch eine der „Tarifeinigung“ entsprechende Absenkung der Prozentsätze mit Wirkung ab dem 1. Januar 2003 fortgesetzt werden soll. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landes­a­r­beits­gericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage entsprochen. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem Vierten Senat des Bundes­a­r­beits­ge­richts erfolglos. Es war ein hinreichend bestimmter Vorvertrag über den Abschluss des angestrebten Tarifvertrages zustande gekommen. Über den Hilfsantrag des Klägers festzustellen, dass die beklagte Gewerkschaft die aus der Verweigerung des Tarif­ab­schlusses folgenden Schäden zu tragen habe, musste nicht entschieden werden.

Erläuterungen
Vorinstanz

Urteil des Landes­a­r­beits­ge­richts Berlin vom 22. Juni 2005 – 9 Sa 110/05 –

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 46/06 des BAG vom 05.07.2006

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