15.11.2024
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Dokument-Nr. 6021

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Urteil07.05.2008Bundesarbeitsgericht4 AZR 229/07
Vorinstanz:
  • Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil26.01.2007, Sa 1766/06
ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil07.05.2008

Bundes­a­r­beits­gericht zum Blitzaustritt aus Arbeit­ge­ber­verbandArbeits­ver­trag­licher Ausschluss einer tariflichen Sonderzuwendung

Die unmittelbare und zwingende Wirkung von Tarifnormen bei beiderseitiger Tarif­ge­bun­denheit kann nicht durch ungünstigere arbeits­ver­tragliche Vereinbarungen beseitigt werden (§ 4 Abs. 3 TVG); dabei bleibt es auch bei einem Ausscheiden des Arbeitgebers aus dem Arbeit­ge­ber­verband. Der zum Zeitpunkt seines Austritts vollwirksame Tarifvertrag gilt weiter zwingend, bis er geendet hat oder geändert worden ist (§ 3 Abs. 3 TVG, sog. Nachbindung). Danach wirken die Normen des Tarifvertrages nur noch nach (§ 4 Abs. 5 TVG) und können durch eine einzel­ver­tragliche andere Abmachung - auch verschlechternd - abgeändert werden.

Diese Nachwirkung tritt aber auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch tarifgebunden ist, immer dann ein, wenn der Tarifvertrag durch Kündigung oder infolge Fristablaufs geendet hat.

Verweist ein Tarifvertrag auf die Regelungen eines anderen Tarifvertrages, tritt Nachwirkung auf jeden Fall ein, wenn der Verwei­sung­s­ta­rif­vertrag abläuft. Ob das auch gilt, wenn nur der in Bezug genommene Tarifvertrag endet, ob also der nachwirkende Geltungszustand des Bezug­s­ta­rif­ver­trages auch im Geltungsbereich des Verwei­sung­s­ta­rif­ver­trages eintritt, ist durch Auslegung des Verwei­sung­s­ta­rif­vertrags zu ermitteln.

Der Kläger war seit Januar 2002 auf Grund mehrerer befristeter Verträge als studentische Hilfskraft bei der beklagten Universität beschäftigt. In den Arbeits­ver­trägen war die Anwendbarkeit des Tarifvertrages für studentische Hilfskräfte II (TV Stud II) vereinbart, der hinsichtlich der Zuwendung auf den Tarifvertrag über die Zuwendung für Angestellte (ZuwendungsTV) verweist. Der TV Stud II ist von dem Verband von Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes (VAdöD), dessen Mitglied die Beklagte jedenfalls bis Anfang 2003 war, und der Gewerkschaft ver.di, der der Kläger später, zum 1. Dezember 2004, beigetreten ist, abgeschlossen worden. Am 7. Januar 2003 beschloss der Vorstand der VAdöD unter Berufung auf eine Bestimmung der Verbandssatzung, den Hochschulen des Landes Berlin die Möglichkeit eines Austritts aus dem Verband ohne Einhaltung der regelmäßigen Frist von sechs Monaten zum Monatsende zu eröffnen. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 10. Januar 2003 ihren sofortigen Austritt aus dem VAdöD („Blitzaustritt“). Durch den „Tarifvertrag vom 31. Januar 2003 zur Änderung der Zuwen­dung­s­ta­rif­verträge“ wurde der ZuwendungsTV hinsichtlich der die Höhe der Zuwendung bestimmenden Proto­koll­notizen geändert. Beide Tarifverträge sind vom Bund, der TdL (Tarif­ge­mein­schaft der Länder) und der VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeit­ge­ber­verbände) vereinbart worden. Jedenfalls die TdL kündigte den ZuwendungsTV zum 30. Juni 2003. Die Beklagte vereinbarte mit dem Kläger beginnend mit dem Änderungs­vertrag vom 17. Dezember 2003 mit Wirkung ab 17. Januar 2004, dass der gekündigte ZuwendungsTV nicht mehr maßgeblich sein solle und zahlte dem Kläger die Zuwendung nur anteilig bis Januar 2004. Sie berief sich auf die vertragliche Abbedingung des ZuwendungsTV sowie darauf, die zwingende Wirkung des ZuwendungsTV habe für sie und die tarifgebundenen Arbeitnehmer im Frühjahr 2003 geendet, bevor der Kläger am 1. Dezember 2004 Mitglied der tarif­schlie­ßenden Gewerkschaft geworden sei, weil dieser Tarifvertrag nach ihrem Austritt aus dem VAdöD im Frühjahr 2003 geändert worden sei. Die vertragliche Abbedingung sei damit wirksam. Der Kläger verlangt die - restliche - Zuwendung für das Jahr 2004 und meint, der Austritt der Beklagten aus dem Arbeit­ge­ber­verband sei erst nach der Änderung des ZuwendungsTV wirksam geworden, weshalb die Nachbindung der Beklagten an diesen Tarifvertrag bis zu seinem Gewerk­schafts­beitritt fortbestanden habe. Da es auf die beiderseitige Tarif­ge­bun­denheit im Dezember 2004 ankomme, gebe der ZuwendungsTV den geltend gemachten Anspruch; die ungünstigere vertragliche Vereinbarung sei unwirksam.

Das Bundes­a­r­beits­gericht hat die Klage ebenso wie die Vorinstanzen abgewiesen. Es hat aber - anders als diese - nicht auf die Wirksamkeit des „Blitzaustritts“ der Beklagten aus dem VAdöD abgestellt. Die Unbegründetheit der Klage ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte an die tarifliche Regelung über die Zuwendung in jedem Falle ab dem 1. Juli 2003 nur noch im Zustand der Nachwirkung gebunden war. Diese Regelung war seither einzel­ver­traglich abdingbar. Der ZuwendungsTV ist ein mehrgliedriger Tarifvertrag. Die drei von den Tarif­ver­trags­parteien auf Arbeit­ge­berseite (Bund, TdL, VKA) mit ver.di geschlossenen Tarifverträge sind in einer Urkunde zusammengefasst worden. Jede Tarif­ver­trags­partei hat aber ihr Recht zur autonomen Vertrags­ge­staltung, z.B. durch Kündigung, behalten. Die Kündigung des ZuwendungsTV durch die TdL führte damit zur Beendigung des von der TdL abgeschlossenen ZuwendungsTV und damit zu dessen Nachwirkung ab dem 1. Juli 2003. Die Verweisung des TV Stud II auf den ZuwendungsTV bezieht sich auf den von der TdL abgeschlossenen Tarifvertrag. Die Beklagte ist eine Einrichtung des Landes. Außerdem hat der VAdöD, der den TV Stud II abgeschlossen hat und dessen Mitglied die Beklagte war, bereits 1994 in einem Tarifvertrag die Übernahme der von der TdL abgeschossenen Tarifverträge vereinbart. Die Verweisung des TV Stud II bezieht sich auch auf den jeweiligen Geltungszustand des in Bezug genommenen ZuwendungsTV der TdL, so dass die tariflichen Regelungen über die Zuwendung ab dem 1. Juli 2003 im Geltungsbereich des TV Stud II ebenfalls nur noch nachwirkten. Durch den Änderungs­vertrag vom 17. Dezember 2003 konnte deshalb ein tariflicher Zuwen­dungs­an­spruch des Kläger auch für die Zeit nach seinem Gewerk­schafts­beitritt zum 1. Dezember 2004 wirksam ausgeschlossen werden. Über die Wirksamkeit des „Blitzaustritts“ war danach nicht zu entscheiden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 37/08 des BAG vom 07.05.2008

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