23.11.2024
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Dokument-Nr. 2118

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Urteil23.03.2006Bundesarbeitsgericht2 AZR 343/05
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BAGE 117, 281Sammlung: Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAGE), Band: 117, Seite: 281
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Bundesarbeitsgericht Urteil23.03.2006

Arbeitgeber müssen über Massen­ent­las­sungen früher informierenZur Kündigung bei nicht rechtzeitiger Massen­ent­las­sungs­anzeige - Bundes­a­r­beits­gericht folgt dem Europäischen Gerichtshof

Massen­ent­las­sungen müssen Arbeitgeber zukünfitg früher anzeigen und vor dem Ausspruch der Kündigungen den Betriebsrat anhören. Das geht aus einem Urteil des Bundes­a­r­beits­ge­richts (BAG) hervor.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG muss ein Arbeitgeber der Agentur für Arbeit Anzeige erstatten, bevor er innerhalb von 30 Kalendertagen eine im Gesetz näher genannte Anzahl von Arbeitnehmern entlässt. Bisher galt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass die Anzeige an die Arbeits­ver­waltung rechtzeitig vor der tatsächlichen Beendigung der Arbeits­ver­hältnisse erfolgen musste. Sie konnte deshalb auch noch nach dem Ausspruch der Kündigungen erfolgen. Mit Urteil vom 27. Januar 2005 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Auslegung der Massen­ent­las­sungs­richtlinie 98/59/EG (MERL), die durch die §§ 17 ff. KSchG in das deutsche Arbeitsrecht umgesetzt worden ist, in der Rechtssache "Junk" entschieden, die Kündi­gungs­er­klärung des Arbeitgebers sei das Ereignis, das als "Entlassung" im Sinne der MERL gilt. Mit den sich aus dieser Entscheidung ergebenden Anpas­sungs­pro­blemen für das deutsche Massen­ent­las­sungsrecht hatte sich das Bundes­a­r­beits­gericht erstmals näher auseinander zu setzen.

Der Zweite Senat des Bundes­a­r­beits­ge­richts ist dem EuGH grundsätzlich gefolgt. Er hat im Entschei­dungsfall die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG richt­li­ni­en­konform ausgelegt. Danach muss nunmehr die Anzeige bei der Agentur für Arbeit rechtzeitig vor dem Ausspruch der Kündigungen erfolgen. Ob eine nicht rechtzeitige Anzeige zur Unwirksamkeit der Kündigung führt oder auch weiterhin nur die Entlassung nicht vollzogen werden kann, hat der Senat dahinstehen lassen. Eine Unwirksamkeit der Kündigung kann hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil dem kündigenden Arbeitgeber Vertrau­ens­schutz zu gewähren ist. Arbeitgeber durften zumindest bis zum Bekanntwerden der zitierten Entscheidung des EuGH auf die ständige Rechtsprechung des Bundes­a­r­beits­ge­richts und die durchgängige Verwal­tung­s­praxis der Agenturen für Arbeit vertrauen, die eine Anzeige vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses ausreichen ließen. Einem kündigenden Arbeitgeber können nicht rückwirkend Handlungs­pflichten auferlegt werden, mit denen er nicht zu rechnen brauchte und die er nachträglich nicht mehr erfüllen kann.

Der Kläger war seit 1994 bei der Schuldnerin, die 23 Arbeitnehmer beschäftigte, als Arbeiter tätig. Einen Betriebsrat gab es im Betrieb nicht. Die Schuldnerin kündigte mit Schreiben vom 30. Juli 2004 das Arbeits­ver­hältnis - ebenso wie die Arbeits­ver­hältnisse aller anderen Arbeitnehmer - ordentlich. Nachdem über das Vermögen der Schuldnerin am 1. August 2004 das Insol­venz­ver­fahren eröffnet und der Beklagte zum Insol­venz­ver­walter bestellt worden war, kündigte dieser alle Arbeits­ver­hältnisse erneut mit Schreiben vom 2. August 2004. Die Schuldnerin bzw. der Beklagte zeigten die zu unter­schied­lichen Zeitpunkten vorgesehenen Entlassungen der Agentur für Arbeit am 2. August bzw. 26. August 2004 an. Diese erteilte am 9. August bzw. 10. September 2004 entsprechende Bescheide.

Der Kläger hat die Kündigung ua. wegen Verstoßes gegen §§ 17, 18 KSchG für unwirksam gehalten. Er hat die Auffassung vertreten, die Schuldnerin bzw. der Beklagte hätten die Massen­ent­lassung bei der Arbeits­ver­waltung vor dem Ausspruch der Kündigung anzeigen müssen.

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Vorinstanz:

Hess. Landes­a­r­beits­gericht, Urteil vom 20. April 2005 – 6 Sa 2279/04 -

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 18/06 des Bundesarbeitsgericht vom 23.03.2006

der Leitsatz

1. Entlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG meint bei einer der Richtlinie RL 98/59/EG vom 20. Juli 1998 entsprechenden richt­li­ni­en­kon­formen Auslegung der kündi­gungs­schutz­recht­lichen Bestimmung den Ausspruch der Kündigung.

2. Eine nach Ausspruch der Kündigung erstattete Massen­ent­las­sungs­anzeige bei der Agentur für Arbeit führt jedenfalls dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn sich der Arbeitgeber berech­tig­terweise auf den auch bei einer Änderung der Rechtsprechung zu beachtenden Vertrau­ens­schutz berufen kann.

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