15.11.2024
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Dokument-Nr. 6219

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Arbeitsgericht Hamburg Urteil27.05.2008

Treu und Glauben: Arbeitgeber muss Kündigung immer begründenKündigungsgrund muss gewisses Gewicht haben und einleuchtend sein

Die Kündigung eines Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber muss grundsätzlich nachvollziehbar begründet werden. Unterlässt der Arbeitgeber es, die Kündigung zu begründen, verstößt er damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Dies hat das Arbeitsgericht Hamburg entschieden.

Im zugrun­de­lie­genden Fall hatte ein Reini­gungs­un­ter­nehmer einer befristet angestellten Frau gekündigt, da ein Auftrag ende und er daher keine Beschäf­ti­gungs­mög­lichkeit mehr bieten könne. Die Arbeitnehmerin hielt diese Begründung für vorgeschoben. Vielmehr habe der Arbeitgeber erfahren, dass sie schwanger sei. Ihre Klage hatte Erfolg.

Kündigung wegen Treu und Glauben unwirksam

Die Kündigung der Beklagten ist rechtsunwirksam, weil sie § 242 BGB verletzt. Denn sie ist willkürlich.

Richter: Es gibt einen Mindest­kün­di­gungs­schutz neben dem Kündi­gungs­schutz­gesetz

Vorliegend habe das Arbeitsverhältnis der Parteien noch keine 6 Monate bestanden, führten die Richter aus. Der erste Abschnitt des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes (KSchG) gelte daher nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts gewährleisteten jedoch die zivil­recht­lichen Generalklauseln den durch Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen Mindestschutz der Arbeitnehmer, soweit die Bestimmungen des KSchG nicht greifen. Dort, wo der Gesetzgeber es unterlassen habe, durch zwingende Bestimmungen einen Mindestschutz zu regeln, sei es im Einzelfall Aufgabe des Richters, den objektiven Grund­ent­schei­dungen der Grundrechte mit den Mitteln des Privatrechts, insbesondere der zivil­recht­lichen Generalklausel § 242 BGB, Rechnung zu tragen. Dies führt im vorliegenden Fall zur Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten. Denn dem Arbeitnehmer dürfe außerhalb des KSchG das sozialstaatlich gebotene Minimum seiner Berufsausübung nicht grundlos entzogen werden. Der Mindest­kün­di­gungs­schutz ist mehr als eine Option, von der nach freiem Ermessen Gebrauch gemacht werden könnte. Er ist vielmehr verfas­sungs­rechtlich geboten. Art. 12 GG gewährleistet den Kernbestand eines Arbeits­platz­schutzes.

§ 242 BGB (Treu und Glauben) setzt ausreichende Gründe für die Kündigung voraus

§ 242 BGB erstrecke sich nicht allein auf die äußeren Umstände der Kündi­gungs­er­klärung, die Norm schütze auch vor materiell unzureichenden Gründen. Willkürliche und schikanöse Kündigungen verböten sich. So seien leichtfertig und unfair ausgesprochene Kündigungen im Hinblick auf § 242 BGB unter dem Stichwort "Willkür" beanstandet worden (Beispiel: Arbeitgeber kündigt wegen eines Verdachts, macht aber keinerlei Angaben über konkrete Umstände und nimmt dem Arbeitnehmer damit jede Möglichkeit, den Verdacht zu entkräften; Arbeitgeber kündigt aufgrund einer nicht bestätigten Aussage vom Hörensagen ohne dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit gegeben zu haben, zu den unsub­stan­ti­ierten Vorwürfen Stellung zu nehmen).

Kündigungsgrund von gewissen Gewicht

Ein Arbeitgeber, der gar keinen Grund habe oder ihn nicht angebe, handele ebenfalls willkürlich. Es müsse ein arbeits­ver­trags­be­zogener Grund vorliegen, der einleuchtend sei und der ein gewisses Gewicht habe.

Arbeitgeber handelte willkürlich

In Anwendung dieser Grundsätze ergebe sich, dass die Kündigung der Beklagten willkürlich sei. Die Klägerin habe geltend gemacht, dass ihr wegen der Schwangerschaft gekündigt worden sei. Die Beklagte habe als Grund für ihre Kündigung vom 24.7.2007 zum 9.8.2007 einzig den Verlust des Reini­gungs­auftrags zum 31.12.2007 angegeben. Dieser Hinweis könne gedanklich gestrichen werden, da er offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Kündi­gungs­sach­verhalt stünde. Die Beklagte sei daher so zu behandeln, als ob sie gar keinen Grund für die von ihr ausgesprochene Kündigung angegeben habe, obwohl die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht hatte. Demzufolge sei festzustellen, dass die Kündigung gegen das Willkürverbot des § 242 BGB verstoße.

Quelle: ra-online

der Leitsatz

1. § 242 BGB erstreckt sich nicht allein auf die äußeren Umstände der Kündi­gungs­er­klärung, sondern schützt auch vor materiell unzureichenden Gründen. Ein Arbeitgeber handelt willkürlich, der gar keinen Kündigungsgrund hat oder ihn nicht angibt. Es muss ein arbeits­ver­trags­be­zogener Grund vorliegen, der einleuchtend ist und der ein gewisses Gewicht hat.

2. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeit­ver­hältnis mit einer Frau, von deren Schwangerschaft er innerhalb von 2 Wochen nach Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt hat, ohne behördliche Zustimmung, so ist die Arbeitnehmerin nicht gehalten, die Nichtigkeit der Kündigung innerhalb der Frist der § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend zu machen.

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