Dokument-Nr. 572
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Amtsgericht München Urteil29.04.2005
Klage über ,89 EURO - jedem sein "Gutes Recht"?
In den letzten Jahren ist die Geschäftsbelastung aller Gerichte - auch beim Amtsgericht München - signifikant angestiegen. Im Jahre 2004 hatten die 55 Zivilrichter des Amtsgerichts München über 43.000 Zivilverfahren zu bearbeiten. Gut 6.000 dieser Verfahren hatten einen Streitwert "bis zu 300,-- EURO". Was sich auch unter dem hierfür bestehenden Begriff "Bagatellverfahren" verbergen kann, sei exemplarisch an folgendem Fall dargestellt:
Im Mai 2004 begab sich der spätere Beklagte in eine ambulante Heilbehandlung eines Münchener Krankenhauses. Er stellte sich dort mit einer Bissverletzung im rechten vorderen Zungenbereich vor. Die hierfür (korrekt) erstellte Rechnung des Krankenhauses in Höhe von 95,07 EURO zahlte der Beklagte nicht. Daraufhin gingen etliche Mahnungen an den Beklagten heraus, ein Rechtsanwalt wurde eingeschaltet und Zinsen liefen auf. Zuletzt belief sich die Schuld des Beklagten auf 182,28 EURO. Hiervon bezahlte der Beklagte - ob aufgrund eines Schreibversehens beim Ausfüllen des Überweisungsträgers oder aus Gründen die im Verfahren nicht bekannt wurden - lediglich 181,39 EURO. Blieb also ein Rest von ,89 EURO.
Das Krankenhaus gab sich mit dieser Zahlung nicht zufrieden und leitete durch ihren Rechtsanwalt das Mahnverfahren in das streitige Verfahren hinsichtlich des offenen Betrages von ,89 EURO über. Der Rechtsanwalt des Krankenhauses legte dem zuständigen Richter eine Anspruchsbegründung vor, die mit beigefügten Anlagen 11 Seiten umfasste. Der zuständige Richter verfasste daraufhin einen zweiseitigen Beschluss, der mit Hinweisen für das Klageverfahren versehen war und in dem der Beklagte aufgefordert wurde, zu der Anspruchsbegründung schriftlich Stellung zu nehmen. Da der Beklagte hierauf keine Stellungnahme abgab, erging am 29.04.2005 ein schriftliches Endurteil gemäß § 495 a ZPO, nach dem der Beklagte verurteilt wurde, an die Klagepartei ,89 EURO zu bezahlen.
Amtsgerichtspräsident Gerhard Zierl hierzu: "Dies ist zugegebenermaßen ein drastischer Einzelfall in dem sogenannten "Bagatellbereich", bei dem man sich schon fragen kann, ob die Justiz sich mit solchen Fällen beschäftigen muss. Und das muss sie: Nach Artikel 20 Abs. 3 unseres Grundgesetzes gibt es einen sogenannten "Justizgewährungsanspruch". Dieser bedeutet, dass sich die Gerichte mit jedem Fall zu beschäftigen haben, der ihnen unterbreitet wird. Bei einem Streit um solch geringe Beträge entstehen oft Kosten, die den Wert des Streitbetrages wesentlich übersteigen. Auch der Steuerzahler wird bei Durchführung derartiger Streitigkeiten belastet, da ein Rechtsstreit mit einem Streitwert von bis zu 300,-- EURO lediglich 75,-- EURO Gerichtskosten einbringt. Dies deckt keinesfalls die Kosten, die der Justiz für derartige Verfahren in Wirklichkeit erwachsen. Hinzu kommt, dass in vielen dieser Bagatellfälle Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, was zu erheblichen Steigerungen der im Rahmen der Prozesskostenhilfe ausbezahlten Rechtsanwaltsvergütungen geführt hat. Wurden im Jahre 2003 hier, alleine für das Amtsgericht München, ca. 4.570.000,-- EURO ausbezahlt, so war im Jahre 2004 bereits ein Betrag von ca. 5,2 Millionen EURO fällig. Dies bedeutet eine Steigerung von etwa 13 %. Ich sehe diese Entwicklung in Zeiten knapper öffentlicher Kassen, auch im Hinblick auf den Staatshaushalt, mit großer Sorge."
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.06.2005
Quelle: Bericht der ra-online Redaktion, Pressemitteilung des AG München vom 06.06.2005
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