22.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einer Krankenschwester im Vordergrund.

Dokument-Nr. 3003

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Beschluss06.07.1998Oberlandesgericht Frankfurt am Main20 W 2241/98
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss06.07.1998

Zur Frage, ob § 1904 BGB analog auf das Herbeiführen des Todes angewendet werden darf

Der Abbruch lebens­er­hal­tender Maßnahmen kann durch das Vormund­schafts­gericht genehmigt werden, wenn dies dem zuvor geäußerten oder dem mutmaßlichen Willen eines im Koma liegenden Patienten entspricht und ein bewußtes und selbstbewußtes Leben nicht mehr zu erwarten ist.

Der 20. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main hatte darüber zu entscheiden, ob Gerichte - wie dies in § 1904 BGB ausdrücklich für schwerwiegende ärztliche Maßnahmen vorgesehen ist - auch dann eine Genehmigung erteilen dürfen, wenn es nicht um einen Heileingriff geht, sondern um die Beendigung der Sondenernährung und damit um "Hilfe zum Sterben".

Eine 85-jährliche Patientin befindet sich nach einem ausgedehnten Hirninfarkt bei anhaltender Bewußtlosigkeit (Koma) mit vollständigem Verlust der Bewegungs- und Kommu­ni­ka­ti­o­ns­fä­higkeit seit Ende 1997 in einem Frankfurter Krankenhaus und wird dort über eine Magensonde ernährt. Eine Besserung des Zustandes ist nicht zu erwarten. Zu einer eigenen freien Willens­be­stimmung ist sie nicht in der Lage.

Die Tochter der Patientin, die durch das Vormund­schafts­gericht zur Betreuerin bestellt worden ist, beantragte die vormund­schafts­ge­richtliche Genehmigung zu einem Behand­lungs­abbruch durch Einstellung der Sondenernährung und wies unter Vorlage mehrerer eidess­tatt­licher Versicherungen darauf hin, die Mutter habe früher geäußert, kein langes Sterben ertragen zu wollen.

Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Frankfurt hatten es abgelehnt, die Genehmigung für den ärztlicherseits empfohlenen Abbruch der Sondenernährung zu erteilen, weil § 1904 BGB nicht analog auf eine gezielte Herbeiführen des Todes angewendet werden könne. Dies habe der Gesetzgeber zu regeln.

Die Richter des 20. Zivilsenats des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main änderten die Entscheidungen der Vorinstanzen ab und vertraten die Auffassung, es liege eine Gesetzeslücke vor. Der Gesetzgeber habe das Betreuungsrecht unter Wahrung der größtmöglichen Autonomie der Betroffenen regeln wollen. Eine Analogie sei möglich, zumal der geregelte Tatbestand der Risiko­ope­ra­tionen und der nicht geregelte Tatbestand eines Behand­lungs­ab­bruches bei wertendem Denken nicht absolut ungleich seien. Wenn schon eine Risikooperation vorher genehmigt werden müsse, bedürfe ein Behand­lungs­abbruch erst recht der Genehmigung des Vormund­schafts­ge­richtes. Hinter der Ansicht, daß in der Rechtsordnung ein Richter über Leben und Tod« nicht vorgesehen sei und sich dies aus rechtsethischen und -historischen Gründen verbiete, sei der Gedanke an das Eutha­na­sie­programm der Natio­nal­so­zi­a­listen verborgen, das das Ziel der Vernichtung "lebensunwerten" Lebens gehabt habe. Demgegenüber stehe hier aber ein vom tatsächlich geäußerten oder wenigsten mutmaßlichen Willen des Betroffenen getragener Behand­lungs­abbruch. Die richterliche Genehmigung solle gerade einem Mißbrauch entgegenwirken.

Es gehe bei der Entscheidung nicht um lediglich passive Sterbehilfe, sondern um den Abbruch einer lebens­er­hal­tenden Maßnahme und damit um "Hilfe zum Sterben". Dabei sei das Selbst­be­stim­mungsrecht des Patienten grundsätzlich anzuerkennen. An die Annahme eines erklärten oder mutmaßlichen Willen seien erhöhte Anforderungen zu stellen, weil der Gefahr entgegengewirkt werden müsse, daß Arzt, Angehörige oder der Betreuer nach eigenen Vorstellungen das für sinnlos gehaltene Leben des Betroffenen, beenden wollten. Es gelte, den Konflikt zwischen dem hohen Anspruch an die Achtung des Lebens und dem ebenfalls hohen Anspruch auf Achtung der Selbst­be­stimmung der Person und ihrer Würde zu lösen. Es komme daher entscheidend auf die Feststellung einer mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen an, an die strenge Anforderungen zu stellen seien. In diesem Zusammenhang dürfte Patien­ten­test­am­tenten künftig ein Bedeu­tungs­zuwachs zukommen. Bei nicht aufklärbarer mutmaßlicher Einwilligung sei dem Lebensschutz der Vorrang einzuräumen.

Der Senat hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung des mutmaßlichen Willens der Patientin an das Amtsgericht zurück.

Gegen diese Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel mehr gegeben.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Frankfurt am Main

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