23.11.2024
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Dokument-Nr. 32223

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Urteil28.09.2022BundesgerichtshofVIII ZR 319/20
Vorinstanzen:
  • Landgericht Weiden, Urteil28.10.2020, 22 S 17/20
  • Amtsgericht Weiden, Urteil22.06.2020, 1 C 140/20
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil28.09.2022

"Versandkosten Wucher!!" - BGH zur Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBayGrenze zur Schmähkritik durch die Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht überschritten

Der BGH hat entschieden, wann ein Verkäufer, der ein Produkt über eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer von diesem abgegebenen negativen Bewertung hat.

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Inter­net­plattform eBay vier Gelenk­bol­zen­schellen für 19,26 € brutto. Davon entfielen 4,90 € auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es unter § 8 Bewertungen auszugsweise: "Nutzer sind verpflichtet, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten". Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewer­tungs­profil der Klägerin mit dem Eintrag "Ware gut, Versandkosten Wucher!!".

AG: Bezeichnung der Versandkosten als "Wucher" ist Werturteil - keine Schmähkritik

Das Amtsgericht hat die auf Entfernung dieser Bewertung und Ersatz vorge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten gerichtete Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts handele es sich bei der Bezeichnung der Versandkosten als "Wucher" um ein Werturteil, das nur dann unzulässig sei, wenn es sich um eine Schmähkritik handele. Eine solche liege jedoch nicht vor. Die Bewertung weise einen Sachbezug auf, weil sie in einen Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt sei.

LG sieht nachver­tragliche Nebenpflicht verletzt

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das erstin­sta­nzliche Urteil abgeändert und den Beklagten antragsgemäß zur Entfernung der Bewertung und zum Ersatz vorge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten verurteilt. Aus Sicht des Berufungs­ge­richts habe der Beklagte eine nachver­tragliche Nebenpflicht verletzt (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB). Die Bewertung verstoße gegen das Sachlich­keitsgebot aus § 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen von eBay (nachfolgend: eBay-AGB). Daraus ergebe sich ein über die Abwehr von Schmähkritik hinausgehender Schutz. Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" handele es sich um eine überspitzte Beurteilung ohne sachlichen Bezug, die nicht gerechtfertigt sei, weil für einen objektiven Leser nicht erkennbar sei, warum sich die Versandkosten aus Sicht des Käufers als "Wucher" darstellten. Mit seiner vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wieder­her­stellung des erstin­sta­nz­lichen Urteils.

BGH: Kein Anspruch auf Entfernung der Bewertung

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungs­gericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Neben­pflicht­ver­letzung. Anders als das Berufungs­gericht es gesehen hat, enthält die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (delikts­rechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewer­tungs­kom­mentaren.

Gefestigte Grundsätze der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung maßgeblich

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem Sachlich­keitsgebot in § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff "sachlich" in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlver­standenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grund­rechts­re­le­vanten (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG [beim Verkäufer], Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG [beim Käufer]) Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewer­tungs­kom­mentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmäh­kri­tik­grenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen.

Auch Meinungs­freiheit des Bewertenden zu berücksichtigen

Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vorherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinung­s­äu­ßerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufte, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grund­recht­lichen Wertungen nicht hinreichend berück­sich­tigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertrags­parteien.

Begriff der Schmähkritik nach BGH-Rechtsprechung eng auszulegen

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungs­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.

Diffamierung der Klägerin steht nicht im Vordergrund

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich - wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form - kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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